Das tödliche Wort
ERSTES KAPITEL
In der Folterkammer war das Feuer in den Kohlenbecken heruntergebrannt, während Irene darauf wartete, dass der Graf kam. Die Steinwand hinter ihrem Rücken war kalt; das spürte sie sogar durch mehrere Schichten Kleidung - Dirndl, Bluse, Schürze und Schultertuch. Und die eisernen Fesseln scheuerten an den Handgelenken. Den Gang hinunter konnte sie die Geräusche der anderen Gefangenen hören: unterdrückte Tränen, Gebete und die Laute einer Mutter, die ihr Baby zu beruhigen versuchte.
Ungefähr um drei Uhr war sie gefangen genommen worden. Inzwischen musste es früher Abend sein: Es gab keine Fenster in den Verliesen, und sie konnte die Glocken von Burgkapelle und Dorfkirche nicht hören; doch es mussten zumindest mehrere Stunden vergangen sein. Sie wünschte, sie hätte mehr zu Mittag gegessen.
Die Tür öffnete sich, und einer der Wächter steckte seinen Kopf hinein, um nachzuschauen, ob Irene immer noch da war. Diese Überprüfung geschah nur pro forma: Immerhin war sie in einer verschlossenen Folterkammer an der Wand festgekettet, die tief unter der Burg lag. Wie sollte es für sie möglich sein, irgendwo hinzugehen?
Die Annahme des Wächters hätte gestimmt, wäre Irene nicht eine Bibliothekarin gewesen.
Doch im Moment gingen die Leute hier davon aus, dass sie ein normaler Mensch war, selbst wenn sie tatsächlich glaubten, Irene sei eine Hexe; und sie musste die ihr zugedachte Rolle spielen.
Irene wusste, dass die Bewohner des kleinen deutschen Dorfs neben der Burg in dieser Nacht ganz besonders inbrünstig beten würden. Denn eine weitere Hexe, und zwar Irene, war von der Wache des Grafen gefangen genommen und fortgezerrt worden, um verhört zu werden. Otto, der Graf von Süllichen, war abergläubisch, paranoid und rachsüchtig. Ständig war er auf der Hut vor Hexen und Verschwörern gegen seine Herrschaft. Die Dorfbewohner hatten gewiss Angst, dass Irene bei deren unvermeidlichem Geständnis einige von ihnen bezichtigte.
Das Weinen verstummte, als das Stampfen von beschlagenen Stiefeln im Gang widerhallte. Irene schluckte; ihre Kehle war urplötzlich trocken. Gleich kam der Augenblick, wo sie herausfinden würde, ob ihr Plan wirklich so klug war, wie er ihr zuvor erschienen war.
Die Kerkertür wurde mit roher Gewalt aufgerissen und krachte gegen die Wand. Der Schein des Fackellichts dahinter umrahmte den Grafen, der mit verschränkten Armen drohend ins Blickfeld rückte. Sein Wams aus schwerem schwarzem Samt deutete breitere Schultern an, als dies tatsächlich der Fall war; aber die zwei Soldaten, die in Habachtstellung hinter ihm standen, waren muskulös genug für jegliche Art von grober Behandlung, die notwendig werden mochte. Der Adlige betrachtete Irene und strich sich nachdenklich über das Kinn.
"So ...", sagte er schließlich, "die neueste Hexe, die es wagt, sich in meinen Herrschaftsbereich hineinzuschleichen und ihre Ränke gegen mich zu spinnen. Hast du nicht erfahren, Hure, dass all jene, die vor dir herkamen, gescheitert sind?"
"Oh, vergebt mir, höchst edler Graf!", flehte Irene demütig. Sie wusste, dass ihr Deutsch zu modern war für diese Zeit und diesen Ort, doch er würde wahrscheinlich nur zu glücklich sein, dies als zusätzlichen Beweis für ihre Hexerei zu nehmen. "Was war ich nur für ein Dummkopf, dass ich hergekommen bin. Ich werfe mich Euch zu Füßen und bitte um Gnade!"
Der Graf blickte überrascht. "Du gestehst deine Schuld?"
Irene schaute zu Boden und versuchte, sich ein oder zwei Tränen rauszuquetschen. "Ihr habt mich in Eisenketten gelegt, Euer Gnaden, und da ist ein Kruzifix an der Tür. Ich bin gefesselt, und Satan, mein Meister, wird mir nicht mehr helfen."
"Nun denn." Der Graf hielt inne und rieb sich dann die Hände. "Also, das ist doch mal eine erfreuliche Abwechslung! Vielleicht werde ich dich nicht so streng verhören müssen wie zuvor deine Schwestern. Gestehe all deine Missetaten, und