Schattenpriester - Das Opfer der Göttin
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Goldene Strahlen der Abendsonne trafen auf die schlichte Holztür, als Mira sie absperrte. Das alte Rathaus am Abend zu verlassen war wirklich das Beste an ihrem Job. Dabei waren es weniger ihre Aufgaben dort als vielmehr, für wen sie diese erledigte. Doch wählerisch zu sein, konnte sie sich nicht leisten. Ganz im Gegenteil, sie musste dankbar dafür sein, überhaupt etwas Geld zu verdienen, was ihr Boss sie nur zu gerne spüren ließ.
Ihr war nie viel Glück beschieden gewesen, und sie hatte bereits früh lernen müssen, auf eigenen Beinen zu stehen. Seit sie zu ihrem Volk zurückgekehrt war, mochte ihr Leben einfacher geworden sein, doch das änderte nichts an der Grundsituation und vor allem auch nichts an jenem schicksalhaften Ereignis, das ihr gesamtes Leben geprägt hatte. Daher sollte sie wohl besser über die Schwierigkeiten hinwegsehen, die man ihr tagtäglich in den Weg stellte - sie hatte schon Schlimmeres durchgemacht -, und sich nicht darüber ärgern, dass, so wie jetzt gerade mal wieder, die Tür klemmte.
Sie stemmte sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen. Mit einem protestierenden Ächzen drehte sich der Schlüssel. Vielleicht wäre es an der Zeit, sich über die schlechten Bedingungen zu beschweren. Andererseits wusste sie auch gar nicht so genau, wie lange sie überhaupt hierbleiben wollte. So lange, bis sie etwas Besseres fand. Doch wie lange würde das sein? Sie schob den Gedanken beiseite. Träumereien und Fragen, wie ihr Leben wohl aussähe, wenn es einen anderen Weg genommen hätte, halfen ihr nicht weiter und ließen sie nur vergessen, dass sie ihre Gründe gehabt hatte, von den Menschen zurückzukehren, und ein jeder hing mit der Tatsache zusammen, dass sie eben kein Mensch war. Nicht, dass sich ihre Art optisch besonders von diesen unterschieden hätte. Sie waren diesen sogar in vielerlei Hinsicht ähnlich. Zumindest bis auf die Tatsache, dass sie unsterblich waren und übernatürliche Kräfte besaßen. Nicht, dass Mira unsterblich war, noch nicht ...
Als sterbliches Wesen in einer unsterblichen Gesellschaft wurde sie nicht ausgegrenzt, aber viele Ämter konnte man erst nach dem Übergang besetzen. Zuvor wurde die vermeintliche Schwäche als Hinderungsgrund angesehen.
Sie seufzte und betrachtete die alte, ramponierte Tür. Sie würde einfach abwarten müssen. Dann wandte sie dem ungeliebten Gebäude den Rücken zu. Zeit für etwas Entspannung. Sie liebte die laue Abendluft, die ihr übers Gesicht strich, und sie musste ja nicht sofort in ihr einsames Zuhause zurückkehren. Ein Waldspaziergang war da genau das Richtige. Ja, das war ein guter Plan. Sie holte tief Luft und machte sich auf den Weg durchs Dorf.
Der Name der Ansiedlung war Dregen. Sie war nicht groß. Kleine steinerne Häuser mit weiß gestrichenen Fassaden reihten sich entlang der Straßen aneinander, umgeben von Gärten, in denen die schönsten Sommerblumen blühten oder Obst und Gemüse gedieh. Nur wenige Gebäude waren größer, so wie das Rathaus. Sie hatten die verschiedensten Baustile, doch auch sie gliederten sich gut in das ländliche Ambiente ein, das nur selten vom Lärm fahrender Autos gestört wurde, da nur wenige in ihrem Volk überhaupt welche besaßen. Es war einfach nicht erforderlich bei den Fähigkeiten, welche die unsterblichen Mitglieder ihrer Gesellschaft hatten.
Sie warf einen Blick auf ihr Handy, um die Uhrzeit zu prüfen. Da es Anfang Sommer war, hatte sie noch ein paar Stunden, bis die Sonne unterging. Ja, ihr Volk nutzte moderne Technik. Gerade die jüngeren Mitglieder, aber inzwischen auch viele der älteren, hatten den Nutzen von elektrischem Strom und diversen Geräten erkannt, die den Alltag erleichterten. Einige hatten inzwischen sogar einen Fernseher, und das, obwohl die Programme der Menschen keine Bedeutung für sie hatten. Fortschritt und ein gewisses Maß an Anpassung waren für ein unsterbliches Volk auf lange Sicht überlebensnotwendig.
Dem gegenüber stand jedoch bei Miras V