Der Bornholm-Code
Ruf aus der Vergangenheit
"Seid ihr bereit, in eine andere Welt einzutauchen?"
Frank Stebe sah seinen Tauchschülern tief in die Augen. Die Mischung aus Vorfreude und Anspannung, die er in ihren Gesichtern entdeckte, rief selbst in ihm ein Kribbeln hervor.
"Ich muss euch warnen, Tauchen kann süchtig machen. Noch k önnt ihr euch für ein weniger fesselndes Hobby entscheiden und hier abbrechen", scherzte Frank, worauf allgemeines Gelächter folgte. Frank wusste um die übliche Nervosität der Lehrgangsteilnehmer. Seine lockere Art tat ihnen gut.
"Also, los geht's. Baut bitte eure Ausrüstungen zusammen und dann machen wir das Briefing."
Beschwingte Samba-Rhythmen kündigten einen Anruf an.
Frank schritt über das Deck des Tauchbootes, auf dem sie in einer verträumten Bucht Mallorcas vor Anker lagen. Dort unterhielt er eine Tauchbasis, Ableger seiner Hauptbasis im Allgäu, die seit zehn Jahren sein beruflicher Mittelpunkt war. Frank griff nach seinem Handy auf dem Tisch, an dem sie kurz zuvor gemeinsam gefrühstückt hatten.
"Zeichne schon mal die Tauchgangsplanung auf die Schreibtafel", wies er seinen Assistenten Ralf Jansen an, der gerade unter Deck hervorkam. Frank und Ralf hatten sich vor Jahren beim Tauchen kennengelernt, es war eine intensive Freundschaft entstanden. Vor drei Jahren ließ sich Ralf von Frank zum Tauchlehrer ausbilden und half nun hin und wieder aus.
"Mach ich." Ralf griff gut gelaunt nach der Schreibkreide.
"Stebe", meldete sich Frank knapp, aber freundlich.
"Lars hier", erklang eine vertraute Stimme.
"Lars? Was für eine Überraschung. Lange her, seit wir uns zuletzt gesprochen haben. Wie geht es dir?"
"Ich stecke gerade mitten in einem Projekt vor Bornholm, deswegen ruf ich auch an."
Franks eben noch angenehmes Kribbeln im Bauch wich einem flauen Gefühl. Bornholm. Ostsee. Damit verband er Erlebnisse, die er seit über zehn Jahren zu verdrängen versuchte. Adrenalin schoss ihm in die Blutbahn. Seine Gelassenheit wich einem Zustand der Anspannung und Verwirrung. Gedankenblitze am Gefühlshorizont.
Offensichtlich rief sein früherer Kollege Lars nicht an, um sich mit ihm auf ein Bier zu verabreden.
"Kannst du kommen?", fragte Lars ohne Umschweife.
"Warum sollte ich? Du weißt, dass ich mit dem Institut nichts mehr zu tun haben will. Damit habe ich abgeschlossen."
"Ich benötige dringend deine Hilfe", sagte Lars.
"Wie stellst du dir das vor? Ich bin nicht mehr dabei. Außerdem bin ich mit meiner Kursgruppe in Spanien. Ihr habt doch Leute, du vornean."
Eine kurze Pause entstand. Dann brach Lars die Stille:
"Wir sind wieder im Spiel, mein Guter." Er sprach die Worte bedächtig aus, als wolle er eine besondere Wirkung erzielen. Was ihm auch gelang, denn Frank wusste sofort, was Lars meinte. Frank verstummte, aber innerlich schrie er auf.
~
Lars schaltete das Satellitentelefon aus. Gedankenverloren strich er mit der Hand über seine Bartstoppeln und blickte auf die an diesem Tag raue See. Trotz des Seegangs hatten die Forschungstaucher seines Teams heute die übliche Anzahl Tauchgänge unternommen. Die Zeit für das Projekt war knapp bemessen, jeder Tag auf See kostete riesige Summen. Der Etat für diese Expedition war nur widerwillig genehmigt worden. Umso effizienter musste die Mannschaft arbeiten, wenn er eine Chance auf Verlängerung des Projekts haben wollte. Seit den gestrigen Ergebnissen wusste er, dass die angesetzten elf Tage auf See nicht reichen würden.
Er schlenderte zum Heck der "Baltic Sea Explorer I", dem besten Forschungsschiff des archäologischen Instituts, für das er seit nunmehr dreizehn Jahren tätig war. Das Gespräch mit Frank war ein Flop gewesen. Lars hätte darauf gewettet, dass er seinen früheren Partner aus der Reserve locken würde, doch dessen war er sich nun nicht mehr sicher. Zweifelsohne waren sie hier,