Die Herrin des Rings
Kapitel 2
Alina schirmte ihre Augen mit einer Hand ab und blinzelte in die tiefstehende Sonne, die hinter den Tannenwipfeln versank. Die Tage wurden merklich kühler. Die ersten leichten Nachtfröste hatten bereits eingesetzt, doch noch immer war die ganze Ernte nicht eingebracht. Zu viert war es unendlich viel Arbeit, den ganzen Hof zu führen.
Zwei Reihen noch, dann wäre das Tagewerk bewältigt. Urte, die ältere Dienstmagd, arbeitete unverdrossen. Langsam zwar, aber mit beständigem Tempo hebelte sie die Rüben aus der Erde, reinigte sie grob und warf sie auf den kleinen Karren.
"Hoffentlich hat Ilse etwas Gutes für uns zubereitet. Wenn ich schon wie ein Pferd arbeite, dann hätte ich gerne eine ebenso üppig bemessene Portion!" Urte schnaufte.
Alina nickte ihr zu. "Vor allem plagt mich der Durst. Doch jetzt lohnt es sich nicht mehr, eine Rast einzulegen. Sehen wir zu, dass wir fertig werden. Was meinst du, wie viel Zeit bleibt uns noch, um die Ernte einzuholen?"
"Eine Woche, höchstens zwei." Urte richtete sich auf und zitierte aus ihrem schier unerschöpflichen Vorrat an Bauernregeln für jede Gelegenheit: "Ist Sankt Lukas mild und warm, kommt ein Winter, dass Gott erbarm. Du wirst sehen, dass ich recht behalte. Zu Martini werden unsere Gänse auf Eis treten."
"Das sind üble Aussichten, Urte. Manchmal kann ich mich nicht des Gefühls erwehren, dass du mit deinen Vordeutungen das Wetter erst herbeiredest."
Urte wischte sich die Stirn und brummelte: "Das Wetter macht der Herrgott schon ganz alleine und wie es ihm beliebt. Die hohe Frau hätte vielleicht ein bisschen mehr Nachsehen, wenn sie sich so wie wir plagen müsste, um ihre Speisekammer zu füllen."
Das war ein wenig frevlerisch, aber ganz unrecht hatte Urte damit nicht. Anderswo mochte das Bauernleben einfacher sein, dort, wo es guten Boden und lockere Erde gab. Hier war dies nicht der Fall. Die Scholle ernährte ihre Bestellerinnen, aber die Erde war von Steinen und Wurzeln durchsetzt, kaum mehr als umgepflügte Viehweiden, die Alinas Vorfahren dem Hutewald abgerungen hatten.
Doch hatte die Nähe zum Wald zweifelsfrei Vorteile, nur dass diese gerade nicht hervorstachen. Die gesammelten Eicheln halfen, die Schweine über den Winter zu bringen, die Pilze waren köstlich, und Ilse behauptete ehern, dass es keine Wilderei sei, einem Kaninchen, das sich zuvor im Gemüsegarten gütlich getan hatte, das Fell über die Ohren zu ziehen.
Bei den letzten Rüben kam es Alina vor, als hielten sie sich besonders stark im kargen Erdboden fest. Gewiss unterstellte sie den Gewächsen eine Bosheit, die von ihrer eigenen Müdigkeit herrührte. Endlich polterte die letzte Runkel auf den Karren. Die Sonne war mittlerweile verschwunden, und der Himmel zeigte eine atemberaubende Färbung.
"Ach, Urte, wenn es erst kalt und dunkel wird, dann werden wir uns gerne an Abende wie diesen erinnern."
"An was? An die Mühe, den Schweiß, den Durst? Wenn du so redest, hast du noch nicht genug gearbeitet. Hilf mir, die Rüben zu entladen, dann scheuche die Hühner in den Verschlag ..."
"... sammle das Werkzeug ein, sieh nach den Schweinen, dem Esel und dem Federvieh. Wenn du schon am Stall bist, kannst du auch gleich einen Korb voller Holzscheite mitbringen und einen Bottich Wasser heraufkurbeln. Achte darauf, mit einem Stöckchen den Lehm von den Schuhen abzukratzen, denn am Brunnen ist der Boden immer feucht ...", vollendete Alina und versuchte, ihr ernstes Gesicht zu wahren. Sie nahm einen Gurt auf, legte ihn über ihre Schulter und reichte Urte den zweiten. Gemeinschaftlich zogen sie den beladenen Lastkarren über den holprigen Boden.
Im Kopf der Magd arbeitete es, aber Urte sprach erst, als sie das Haupthaus und die Nebengebäude erreichten.
"Sag mal, machst du dich über mich lustig?", empörte sich Urte.
Alina schmunzelte. "Beinahe auf den Tag lebe ich nun zehn Jahre auf diesem Hof. Genügend Zeit, um mir dei