The One Best Man
Kapitel 1
Meine Hand knallt auf den Radiowecker, doch statt auszugehen, fällt das verdammte Ding wie eine Furie schreiend vom Nachttisch und landet auf dem Boden. Vorsichtig öffne ich ein Auge. Als ich den Klamottenhaufen auf den ganzen Kisten sehe, die in meinem provisorischen Schlafzimmer herumstehen, würde ich es jedoch am liebsten sofort wieder zukneifen. Der Wecker gibt weiter dieses schrille Geräusch von sich und dröhnt in meinem Kopf. Immer wieder greift meine Hand ins Leere, während ich versuche, das Kabel zu fassen zu kriegen, um es herauszureißen und das dumme Teil endlich zum Schweigen zu bringen.
"Mom?", ruft meine Tochter Jade.
Ich drehe den Kopf in die Richtung, aus der ihre Stimme kommt, und da steht sie. In ihrem Schlafanzug mit den Kackhaufen-Emojis hält sie mir den Wecker entgegen, als wollte sie mir ein Geschenk überreichen.
"Mach ihn aus", stöhne ich und drücke mir das Kissen auf den Kopf.
Ihre kleinen Füße tapsen über das knarzende Parkett und bleiben direkt neben meinem Bett stehen. Zuerst wird mir die Decke weggezogen, keine Sekunde später geht das Licht an, kurzzeitig bin ich vollkommen blind.
"Du kommst zu spät", mischt sich nun auch noch meine Mutter vom Ende des Flurs ein.
Ich träume davon, von einem charmanten Fremden geweckt zu werden, der kein Wort Englisch spricht, mit sanften Händen meinen Körper erforscht, meine Haut mit Küssen bedeckt und mich langsam aus dem Schlaf holt. Stattdessen sind es meine siebenjährige Tochter und meine Mutter, die mich montagmorgens aus dem Bett schmeißen.
Jade schaltet den Wecker aus und stellt ihn zurück auf den Nachttisch. "Es ist sieben Uhr", sagt sie gelassen.
"Was?" Ich setze mich auf, Chipskrümel rieseln auf das zerknitterte Laken.
"Hast du wieder im Bett gegessen?" Sie kichert, und ich packe sie an der Hüfte, ziehe sie zu mir ins Bett und kitzle sie ordentlich durch. Kitzelfolter.
"Mom, hör auf!" Sie zappelt und lacht. "Es ist erst Viertel nach sechs."
Sie windet sich wie ein Wurm, und ich lasse sie los, denn ich bin heute später dran als sonst. Sonntag ist unser Mutter-Tochter-Tag, und ich musste gestern Abend noch lernen, nachdem sie ins Bett gegangen war, daher wurde es ziemlich spät.
"Ich mach schon mal die Dusche an." Sie marschiert aus der Tür und schnurstracks in das kleine Bad unseres Drei-Zimmer-Bungalows. Jade schläft jetzt in meinem alten Zimmer, ich im Nähzimmer meiner Mutter. Sie näht sowieso nur noch selten.
"Danke. Und dann ..."
"Ich weiß. Zähne putzen, anziehen und Haare kämmen."
Ich lächle, weil meine Tochter schon so selbstständig ist, und gleichzeitig spüre ich einen wohlbekannten Stich im Herzen. Eigentlich sollte sie eine Mutter haben, die ihr die Klamotten rauslegt und ihr vor der Schule schicke Frisuren mit süßen Haarschleifen und Locken macht. Eine Mutter, die sie aufweckt, mit dem Duft von gebratenem Speck und Pfannkuchen und frisch gepresstem Orangensaft. Einen Vater, der ihre Mutter zum Abschied fest in den Arm nimmt und seiner Tochter verspricht, zum Fußballtraining zu kommen, während er ihr einen Kuss auf den Kopf gibt.
Stattdessen hat sie einen Vater, der noch nicht mal mit der Wimper gezuckt hat, als ich ihm mitteilte, dass wir Los Angeles verlassen und zurück nach Chicago ziehen würden. Eine Mutter, die ihr Studium sausen gelassen hat und nun versucht, einen Abschluss nachzuholen, während sie gleichzeitig Vollzeit arbeitet. Eine Mutter, die sie gezwungen hat, durchs halbe Land zu ziehen, den Strand und das sonnige Wetter gegen Beton und düstere Regentage einzutauschen.
Man muss ihr zugutehalten, mein starkes Mädchen hat mir nie Vorwürfe gemacht, nachdem ich sie beiseitegenommen und ihr erklärt hatte, dass Grandma unsere Hilfe brauche. Sie packte ihre Kisten und schluckte ihre Tränen hinunter. Ich schätze, die Leute haben recht, wenn sie sagen, dass sie mein exaktes Ebenbild ist./