Winterwundertage
1. Kapitel
Mayfair, London, Freitag, 1. Dezember 2017
H ier das Büro von Alex Hyde."
Die forsche, sachliche Stimme von Louise Kennedy durchdrang die von einem Strauß weißer Pfingstrosen geschwängerte Stille des mit einem dicken Teppich ausgelegten Büros.
"Nein, bedaure, sie ist nicht zu sprechen. Wenn Sie mir Ihren Namen nennen würden?"
Louises manikürte Fingernägel schwebten erwartungsvoll über der Tastatur, der Cursor saß bereits in der Namensspalte. Auf der Telefonanlage daneben blinkte ein rotes Lämpchen - da wartete schon der nächste Anrufer. Louise kam sich vor wie bei der Flugsicherung: eine Maschine nach der anderen musste auf die richtige Landebahn dirigiert, vorübergehend geparkt und dann weitergeleitet werden.
"Sie müssen mir schon Ihren Namen nennen, wenn Sie ..." Doch der Anrufer bestand darauf, unbedingt persönlich mit Alex Hyde sprechen zu müssen, war es nicht gewöhnt, abgewiesen zu werden. Louise achtete darauf, nicht in die Sprechmuschel zu seufzen, was unprofessionell gewesen wäre. Ihre Finger zappelten ungeduldig, als würden sie mit einem Stift spielen, sie wollte weiter, hatte es eilig. Das rote Lämpchen blinkte noch. In spätestens sechzig Sekunden musste sie rangehen, es konnte ja wichtig sein. Auf dem Niveau, auf dem sie tätig waren, konnte es den Verlust vieler Arbeitsplätze und großer Vermögen bedeuten, ja sogar um Leben und Tod gehen.
"Bedaure, das ist nicht möglich." Die Stimme des Anrufers wurde drängender, und Louise runzelte die sorgfältig gewachsten Augenbrauen. "Weil sie in New York ist." Ihr Blick fiel erneut auf das Blinklicht. "Nein, das ist vertraulich", entgegnete sie, ohne sich vom Befehlston des Anrufers einschüchtern zu lassen. Aufgeblasenheit und Arroganz bei der Kundschaft waren ihr täglich Brot, ja, es waren oftmals gerade diese Eigenschaften, die sie zu Alex ' Kunden werden ließen. "Ich kann sie bitten, Sie zurückzurufen, wenn Sie das möchten. Weiß sie denn, worum es sich handelt?" Ihre Finger zuckten ungeduldig.
Draußen fuhr mit blinkendem Blaulicht ein Krankenwagen vorbei, und durch die nerzgrauen Jalousien hindurch war ein schmutzig grauer Himmel erkennbar, an dem sich schwere Regenwolken zusammenballten. Menschen in dicken Wintermänteln liefen, das Handy am Ohr, mit gesenkten Köpfen vorüber. Die Gehsteige glänzten nass vom letzten Regenguss.
Louise spitzte missbilligend die Lippen. Na bitte, das hatte sie sich doch gleich gedacht. "Aha, verstehe, es handelt sich also um eine Erstanfrage ." Sein anmaßender Ton suggerierte eine enge persönliche Bekanntschaft, wahrscheinlich jedoch waren er und Alex einander höchstens einmal auf einer Cocktailparty über den Weg gelaufen oder Alex' Name war auf einer Jubiläumsfeier ehrfürchtig von Mund zu Mund weitergetragen worden wie ein verstohlener Freimaurer-Händedruck.
"Tut mir leid, wir operieren mit einer Warteliste. Vor Mai nächsten Jahres hat Ms Hyde leider keine freien Termine mehr." Ihr Blick fiel erneut auf das rote Lämpchen. Es blinkte noch, aber sicher nicht mehr lange. Sie würde ihm noch zehn Sekunden geben ... "Soll ich Sie schon mal vormerken und Sie melden sich dann nächstes Jahr wieder?"
Nun wurde er ausfallend. Louises makellose Augenbrauen schossen in die Höhe. Dem war offenbar nicht klar, dass an ihr kein Weg vorbeiführte und dass sie nicht nur dafür bezahlt wurde, den Terminkalender zu verwalten, sondern auch dafür, mögliche Klienten vorab auszusortieren. "Nun, wie gesagt, Ms Hyde ist momentan außer Landes. Wann sie wieder da sein wird, kann ich Ihnen leider nicht sagen. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich habe einen Klienten in der anderen Leitung. Sie können gern noch einmal anrufen, wenn Sie Ihre Meinung ändern sollten." Sie wollte auflegen, den Blick auf das hartnäckig blinkende Lämpchen gerichtet.
Drei, zwei, ei ...
Ihre Ha