Checkliste Komplementärmedizin
1 Geschichte der Komplementärmedizin und Naturheilverfahren
Bernhard Uehleke, Annette Kerckhoff
Der Begriff "Komplementärmedizin" (abgeleitet von complementary medicine) löste als Oberbegriff für eine Ansammlung unkonventioneller medizinischer Systeme, Methoden und Verfahren den nur wenig älteren Begriff "Alternativmedizin" ab bzw. trat als Ergänzung dazu.
Betrachtet man die breite Palette der in der Komplementärmedizin zusammengefassten Verfahren, so ergibt sich die Frage, warum solch höchst unterschiedliche Verfahren, wie die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), Homöopathie, Kaltwasseranwendungen etc., unter einem Oberbegriff zusammengefasst werden. In der Tat waren die einzelnen Systeme bzw. Verfahren bis weit ins 20. Jahrhundert getrennt und die Vertreter untereinander verstritten ? [14] . Erst unter politischem Druck durch die Nationalsozialisten wurden in den 1930er-Jahren die großen und sich auf bürgerbasierte Verbände stützenden Naturheilverfahren, Homöopathie und Schüßler-Therapie unter dem Sammelbegriff "Biologische Medizin" zusammengefasst und die einzelnen Verbände zwangsweise in eine Reichsarbeitsgemeinschaft eingegliedert ? [7] . Als wirksam überprüfte "biologische Methoden" sollten dann mit einer modernisierten und angepassten Medizin zu einer "Neuen Deutschen Heilkunde" als Synthese entwickelt werden ? [19] .
Nach dem 2. Weltkrieg entwickelten sich in Deutschland die einzelnen Richtungen in separaten Verbänden weiter, aber es gab nun doch einige Dachverbände, wobei neue Sammelbegriffe den in Misskredit geratenen Begriff "Biologische Medizin" ablösten: "Ganzheitsmedizin", "Erfahrungsheilkunde" und dann schließlich, Ende der 1960er-Jahre, "Alternativmedizin" und später "Komplementärmedizin". Später kam dann noch u.a. der Begriff "Regulationsmedizin" dazu, der sich allerdings im Volksmund kaum ausgebreitet hat. Zur begrifflichen Abgrenzung aus heutiger Sicht s. Kap. ? 3.1 .
Als gemeinsames Kriterium aller Verfahren fällt – neben dem Prinzip der ? Selbstheilung – die besondere Förderung durch Patienten und Bürger bei nicht selten gleichzeitiger kritischer Haltung gegenüber der "Schulmedizin" auf. Ohne dieses Interesse könnten medizinisch-staatlich nicht anerkannte Verfahren kaum überleben, insbesondere auch die vom Patienten häufig selbst zu bezahlenden Behandlungen durch Heilpraktiker. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass die Förderung entsprechender Methoden durch die Bevölkerung im deutschsprachigen Raum nunmehr eine durchgehende Tradition über immerhin rund 200 Jahren hat.
Als sich im Rahmen der Aufklärung Anfang des 19. Jahrhunderts nicht nur die Medizin ganz neuen Ideen öffnete und sich gleichzeitig die Ärzteschaft unter politischer Einflussnahme zu professionalisieren begann – wobei der Staat die Medikalisierung der Bevölkerung zunehmend regulierte –, entstanden v.a. in den gebildeten Mittelschichten des 19. Jahrhunderts Gegenströmungen. Diese entwickelten ein erhebliches Misstrauen gegen die Ärzteschaft, aber auch gegen eine die Freiheit des Einzelnen in Gesundheitsfragen und Verhalten einschränkende Staatsmedizin und wandten sich anderen Methoden oder Lebensweisen, wie Mesmerismus, Homöopathie, Hydropathie bzw. Naturheilkunde, zu. Dazu kamen dann später Vegetarismus, FKK-Bewegung und weitere Reform- und Sozialbewegungen. In wesentlichem Maße wurden die Komplementärmedizin und insbesondere die Naturheilkunde dabei durch Laienheiler und Nicht-Ärzte getragen.
1871: Nachdem zu