Spieltraditionen, Personalstile und Signature-Licks der Rock and Roll-Gitarre
2. Selektion der Werke
2.1 Theoretische Grundlagen zur Erstellung einer Auswahl repräsentativer Werke
2.1.1 Kommunikatives und kulturelles Gedächtnis
Die folgenden Überlegungen beziehen sich zu einem großen Teil auf die Theorien des deutschen Ägyptologen Jan Assmann (1997). Ausgehend von dem von Maurice Halbwachs in den 1920er Jahren entwickelten Begriff "Kollektives Gedächtnis" hat Assmann den Dualismus zwischen "Kommunikativem und Kulturellem Gedächtnis" entwickelt und seine Erkenntnisse aus der Altertumsforschung zu einer allgemeinen Theorie von kultureller Erinnerung zusammengefasst, die unter anderem die Themen Kanon und Kanonbildung, Traditionsstrom, Ritual, Identität usw. detailliert erläutert. Assmanns Theorien sind die zum heutigen Zeitpunkt aktuellsten, umfassendsten und einflussreichsten Überlegungen zum Thema (Erll 2005) und lassen sich ohne große Schwierigkeiten auf kulturelle Prozesse des 20. Jahrhunderts übertragen. Sie sollen daher als theoretischer Ausgangspunkt für die nachfolgenden Betrachtungen dienen. Assmanns grundsätzliche Zweiteilung des kollektiven Gedächtnisses in die Pole kommunikatives und kulturelles Gedächtnis wird im Folgenden kurz tabellarisch dargestellt.
kommunikatives Gedächtnis
kulturelles Gedächtnis
Inhalt
Geschichtserfahrungen im Rahmen individueller Biographien
mythische Urgeschichte, Ereignisse einer absoluten Vergangenheit
Formen
informell, wenig geformt, naturwüchsig, entstehend durch Interaktion, Alltag
gestiftet, hoher Grad an Geformtheit, zeremonielle Kommunikation, Fest
Medien
lebendige Erinnerung in organischen Gedächtnissen, Erfahrungen und Hörensagen
Feste Objektivationen, traditionelle symbolische Kodierung/Inszenierung in Wort, Bild, Tanz usw.
Zeitstruktur
80-100 Jahre, mit der Gegenwart mitwandernder Zeithorizont von 3-4 Generationen
absolute Vergangenheit einer mythischen Urzeit
Träger
unspezifisch, Zeitzeugen einer Erinnerungsgemeinschaft
spezialisierte Traditionsträger
Abb. 2: Polarität von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis (Assmann 1997, S. 56)
Das kommunikative Gedächtnis umfasst Erinnerungen, die sich auf die rezente Vergangenheit beziehen. "Es sind dies Erinnerungen, die der Mensch mit seinen Zeitgenossen teilt. [...]. Es entsteht in der Zeit und vergeht mit ihr, genauer: mit seinen Trägern. Wenn die Träger, die es verkörpern, gestorben sind, weicht es einem neuen Gedächtnis. Dieser allein durch persönlich verbürgte und kommunizierte Erfahrung gebildete Erinnerungsraum entspricht [...] ca. 80 Jahren." (Assmann 1997, S. 50). Dem gegenüber steht das kulturelle Gedächtnis, das sich auf Fixpunkte in der Vergangenheit richtet. "Auch in ihm vermag sich Vergangenheit nicht als solche zu erhalten. [...]. Der Unterschied zwischen Mythos und Geschichte wird hier hinfällig. Für das kulturelle Gedächtnis zählt nicht faktische sondern nur erinnerte Geschichte" (Assmann 1997, S. 52).
Für unsere Betrachtung interessant sind Assmanns Ausführungen zum kommunikativen Gedächtnis, das nach etwa 3-4 Generationen oder 80-100 Jahren mit dem sogenannten "floating gap" (benannt durch Jan Vansina, 1985) fließend in das kulturelle Gedächtnis übergeht. Innerhalb dieser 80-100 Jahre kommt es zu einem interessanten Phänomen, denn es scheint sich in der Mitte dieses Zeitraums nach 40 Jahren eine "kritische Schwelle" (Assmann, S. 51) zu bilden. Laut Assmann treten nach diesem Zeitraum "die Zeitzeugen, die ein bedeutsames Ereignis als Erwachsene erle