Psychologische Diagnostik
Schmidt-Atzert und Amelang (2012) beziehen nun nicht mehr wie Amelang und Schmidt-Atzert (2006) die psychologische Diagnostik zunächst allgemein auf Merkmalsträger, sondern vertreten explizit die Auffassung, dass der Gegenstand der psychologischen Diagnostik Menschen seien . Zur Relativierung dieser Position wird hier nur exemplarisch auf die Studie von Capitano und Widaman (2005) verwiesen, in der Persönlichkeitseigenschaften von Rhesusaffen eingeschätzt wurden . Diese individuelle Zuschreibung von unterschiedlichen Ausprägungen von Persönlichkeitseigenschaften zu Rhesusaffen wird hier auch als ein Vorgang der psychologischen Diagnostik gesehen . Eine Verhaltensbeobachtung und eine anschließende Einschätzung der Eigenschaften von Menschen (beispielsweise im Rahmen eines Assessment-Centers) konstituiert kein grundsätzlich anderes Vorgehen . Ein anderes Beispiel für eine psychologische Diagnostik an Tieren ist die Beurteilung manisch-hyperaktiven Verhaltens von Mäusen in ihren Käfigen (Scotti et al ., 2011) . Die Autoren beobachteten das hyperaktiv-manische Verhalten an den Mäusen vor und nach einer Medikation . Solche Studien, in denen Verhaltenstendenzen ("Verhaltensphänotypen") von Tieren diagnostiziert werden, können für die Klinische Psychologie von großer Bedeutung sein . Aus Sicht der Autoren dieses Buches erscheint es nicht zweckmäßig, die vielen psychodiagnostischen Vorgänge, die vor allem in der Forschung nicht ausschließlich am Menschen erfolgen, aus der psychologischen Diagnostik auszuschließen . Auch ein Beschränken der psychologischen Diagnostik auf die Praxis würde einen großen Teil interessanter psychologischer Diagnostik, die notwendigerweise auch in der Forschung stattfindet, ausblenden . Insofern wird im Rahmen dieses Buches explizit weiterhin auf Merkmalsträger verwiesen .
Der Überblick über die Definitionen der psychologischen Diagnostik verdeutlicht bereits viele Gesichtspunkte, die für das Fach von zentraler Bedeutung sind . Inzwischen hat die Diskussion um Qualitätsmaßstäbe in der psychologischen Diagnostik - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der DIN 33430, die Qualitätsmaßstäbe für die berufsbezogene Eignungsdiagnostik feststellt - eine Konvergenz und eine erhebliche Relevanz erreicht (DIN, 2002; Hornke & Winterfeld, 2004) . Dies spiegelt sich auch in den Definitionen psychologischer Diagnostik von Ziegler und Bühner (2012) sowie von Schmidt-Atzert und Amelang (2012) wider . Daher sollen auch nach Meinung der Autoren dieses Buches wissenschaftliche Minimalstandards sowie der Bezug zu den fachlichen Kompetenzen bei der Formulierung einer Definition für die psychologische Diagnostik nicht fehlen . Um zum anderen den mit Bezug zu Dieterich (1973) und Westmeyer (1995) erwähnten Aspekt zu betonen, dass eine essenzialistische Interpretation der Merkmale nicht nur für die Merkmalsträger problematische Konsequenzen haben könnte, sondern auch wissenschaftlich nicht angemessen erscheint, sollte eine Definition der Diagnostik auch verdeutlichen, dass nicht an sich gegebene Merkmale oder Charakteristika sondern psychologische Konstrukte und Theorien der Gegenstand der psychologischen Diagnostik sind . Schließlich sollte auch der in Amelang und Schmidt-Atzert (2006) berücksichtigte Gesichtspunkt nicht fehlen, dass es bei der psychologischen Diagnostik auch um Präzision geht, d .h . dass wir Merkmalsausprägungen und Charakteristika niemals genau erfassen, sondern lediglich mit einer bestimmbaren Genauigkeit schätzen . Ziegler und Bühner (2012) umgehen die genannten Probleme, die sich aus der Zuschreibung von Merkmalsausprägungen zu Merkmalsträgern ergeben, indem sie diesen Aspekt, der in der Vergangenheit auch zu problematischen Interpretationen geführt hat, aus ihrer Definition der psychologischen Diagnostik heraushalten (siehe oben) . Auch Schmidt-Atzert und Amelang (2012) schlagen eine Definition psychologischer Diagnostik vor, die ohne die Zuschreibung von Kon